Premiere am 20. März 2010, Großes Haus (Hinterbühne)
In einem Konzernbüro treffen nacheinander vier Bewerber für den Posten des Kaufmännischen Direktors ein. Drei Männer und eine Frau. Sie sind in der letzten Runde des Auswahlverfahrens, und die Situation ist angespannt: Ungewissheit, Stress und taktisches Geplänkel bestimmen die Atmosphäre.
Jeder Kandidat hat höchst ungewöhnliche Prüfungsaufgaben zu bestehen. Und immer sieht die Konkurrenz mit zu. Verschärft wird die Situation durch die Nachricht, dass einer der vier Bewerber Mitglied der Personalabteilung sei. Wer ist der Spitzel? Schon bald ist das Büro eine Krimi-Arena, in der die absurdesten Selbstbehauptungskämpfe toben. Wer den Raum verlässt, ist aus dem Rennen. Wer bleibt, hat (vielleicht) den Job.
Die sogenannte »Grönholm-Methode« erprobt nicht nur die kreative Intelligenz der Bewerber, sondern vor allem, wie viel psychologischen Druck sie aushalten können. Devise: »Wir suchen keinen guten Menschen, der nach außen ein Arschloch ist, wir suchen ein Arschloch, das nach außen ein guter Mensch ist.«
Galcerans 2003 in Barcelona uraufgeführtes Stück ist ein hochaktueller Kommentar auf die immer aggressiver werdenden Methoden auf dem Arbeitsmarkt. Mit viel schwarzem Humor beschreibt es die Gnadenlosigkeit heutiger Bewerbungsgespräche und legt sarkastisch bloß, wie schnell menschliche Masken fallen und archaische Verhaltensmuster zum Vorschein kommen.
Charlotte Ronas
Benjamin Griebel
Markus Seidensticker
Einer ist nicht echt - vielleicht
Freies Wort, 31.03.2010
Das Theater Rudolstadt inszeniert mit Jordi Galcerans "Grönholm-Methode" ein verblüffendes Schauspiel excellent Von Peter Lauterbach
Man muss aufpassen. Höllisch aufpassen. Jeden Satz, jede Geste genau analysieren: Wahr oder gelogen? Und man wird am Ende sehr wahrscheinlich doch daneben liegen. In diesem Spiel der vielen Täuschungen. Wird den vier Akteuren, die auf der kreisrunden, erhöhten Spielfläche nicht nur sich gegenseitig etwas vorspielen, sondern dem rundherum sitzenden Publikum auch etwas vormachen, auf den Leim gehen. Denn die Nummer, die sie auf der Bühne des Rudolstädter Theaters abziehen, ist viel zu clever, um sie an auch nur einer Stelle zu durchschauen. Und die Schauspieler sind viel zu gut, um sich auch nur eine Wahrheit abluchsen zu lassen.
Ein attraktiver Job ist zu vergeben. Ein multinational agierendes Unternehmen der Möbel- und Heimwerkerbranche sucht jemanden mit Führungsqualitäten. Vier Bewerber gibt es, drei Männer und eine Frau. Wer gewinnen will, muss die beste Figur in einem speziellen Auswahlverfahren, der "Grönholm-Methode", machen. Es geht um einen Persönlichkeitstest, bei dem die Kandidaten in die Ecke getrieben werden, die Hosen herunterlassen sollen. Nicht zur Schau gestellte Gutherzigkeit zählt hier, sondern der unter sich ständig steigernder Aggression immer weiter hervortretende wahre Mensch. Wie fies ist einer? Wie skrupellos? Und wie lange braucht man, um so einen weichzukochen, zur Schnecke zu machen? Denn in den Führungsetagen der Unternehmen, das unterstellt dieses Theaterstück, werden keine guten Menschen gesucht, die nach außen hin Arschlöcher sind. Sondern Arschlöcher, die sich nach außen hin als gute Menschen ausgeben.
Doch keine Personalabteilung stellt hier Fragen. In der Arena werden die vier aufeinander losgelassen. Hier, im Kampf Mann gegen Mann oder Mann gegen Frau, zeigen sich die wahren Gesichter. Enrique (Benjamin Griebel) ist der misstrauische, unter dem Leben und seinen Beziehungsproblemen leidende Angestelltentyp, Carlos (Simon Keel) der schüchterne, junge Aufsteiger, der sich zur Frau umoperieren lassen will. Fernando (Markus Seidensticker) der großfressige Aufsteiger und Bescheidwisser, Mercedes (Charlotte Ronas) schließlich die typische Karrierefrau, deren Mutter während des Tests - wie sie per Handy erfährt - stirbt.
Einer der vier, das ist die Ausgangssituation, ist von der Firma. Ein Mitarbeiter der Personalabteilung. "Einer von uns ist also nicht echt" - dieses Wissen schürt das Misstrauen, wenn nun verschiedene per Briefpost gestellte "Aufgaben" gelöst werden müssen, die sich alsbald als makabere Spielchen entpuppen. Enrique soll mit der Beichte seiner nicht gerade vorteilhaften privaten Lebensgeschichte erreichen, dass die anderen, wären sie die Personalchefs, ihn nicht entlassen. Nächster Umschlag: Clown, Bischof, Torero und Politiker - jeder bekommt eine Rolle - sind in einem brennenden Flugzeug mit nur einem Fallschirm. Wer hat die besten Argumente dafür, dass er das Rettungsgerät bekommt? Wer also lässt die anderen am überzeugendsten abstürzen?
Regisseur Martin Pfaff nimmt den spanischen Autoren Jordi Galceran vor allem in einem Punkt ernst - dem Spiel. "In allen meinen Stücken ist das Spiel das Wichtigste", meint dieser. Und so kämpfen die vier auf ihrer kleinen runden Arena wie Athleten miteinander. Umringt vom Publikum - so nah dran, dass es jede Schweißperle erkennen kann. Anderthalb Stunden lang gibt es für sie keine unbeobachtete Sekunde. Und anderthalb Stunden lang gelingt ihnen die doppelte Täuschung, die hier nicht verraten werden soll. Ein Test, bei dem auch das Publikum ins Schwitzen kommt - denn es gilt nicht nur die psychologische Spannung auszuhalten, die die vier meisterhaft aufbauen. Langsam dämmert es auch, dass solche Methoden näher an der Realität sind, als man glaubt. Und wenn sie erschöpft abtreten aus der Arena, dann ist man abgrundtief angewidert von diesen Spielchen der Macht. So excellent kann Theater sein.
Ein perfides Kammerspiel
Thüringer Allgemeine Zeitung, 27.03.2010
Mit grimmigem Witz: "Die Grönholm-Methode" beeindruckt im Theater Rudolstadt
Ein lukrativer Job - vier Bewerber. Wer siegen will, muss besser sein als die anderen. Oder auch nur rücksichts- und gewissenloser. "Die Grönholm-Methode" im Theater Rudolstadt ist ein perfides Kammerspiel; Ähnlichkeiten mit der realen Arbeitswelt sind nicht zufällig. Von Frauke Adrians
RUDOLSTADT. Es geht um eine hochdotierte Stelle bei einem internationalen Unternehmen. Es geht darum, wer in dem Bewerbungsgespräch, das sich als Psycho-Test entpuppt, die beste Figur macht. Und es geht in Jordi Galcerans „Die Grönholm-Methode“ – auf der Bühne wie im Publikum – um die Frage: Wie weit würde ich gehen? Wie tief würde ich andere und mich selbst erniedrigen?
Regisseur Martin Pfaff schönt seine Schauspieler nicht. Bühnenbildnerin Brigit Kofmel hat ihnen eine Art Arena errichtet, in der die vier Kandidaten aufeinander losgelassen werden, dicht umringt vom Publikum, von Menschen, die in dieser Inszenierung zu Voyeuren werden. Auf ihrem runden Podest, in ihrem Boxring, gnadenlos an Und ausgeleuchtet von Scheinwerfern, in deren Licht man jeden Spucketropfen fliegen, jede Schweißperle rollen sieht, stellen die vier Akteure ihre Attacken und Scheingefechte, ihre Täuschungstaktiken und Rückzugsmanöver zur Schau. Fernando, der bissige Karrierist, Enrique, ein viel zu vertrauensseliger Angestelltentyp, Carlos, gewinnend, verletzlich, und Mercedes, teils Karrierefrau, teils Gutmensch: Wer von ihnen – wenn überhaupt jemand – ist aufrichtig, wer verstellt sich? Einer, das erfährt das Quartett, sei kein Bewerber, sondern ein eingeschleuster Mitarbeiter des Unternehmens, was das Misstrauen ins Unendliche steigert. Das gnadenlose Verfahren macht Peinliches und Intimes öffentlich, nötigt die Bewerber zum Seelenstriptease. Benjamin Griebel spielt mit Bravour die Lebensbeichte des Enrique, bebend, schwitzend, um Verständnis bettelnd; Markus Seidensticker zieht als Fernando bravourös die Zyniker-Nummer durch; und wer findet, Simon Keel als transsexueller Carlos und Charlotte Ronas als schicksalsgebeutelte Mercedes trügen zu dick auf, der hat Recht – und ist dem Spiel schon aufgesessen. Was hier gespielt wird, ist doppelte Täuschung.
Es ist ein Kammerspiel mit grimmigem Witz und mehr Realitätsbezug, als man wissen möchte. Ein Stück für ein starkes kleines Ensemble, also — selbst wenn dieses Quartett gelegentlich noch schneller, noch giftiger agieren könnte — ein Stück für die Rudolstädter Truppe.
Was vorn Menschen übrig bleibt
Ostthüringer Zeitung, 22.03.2010
Martin Pfaff inszeniert „Die Grönholm-Methode“ in Rudolstadt als Rätsel-Krimi-Labyrinth Von OTZ-Redakteurin Sabine Wagner
Kolportiert wird, Jordi Galceran habe die Idee für sein Stück „Die Grönholm-Methode“ vor einem spanischen Supermarkt in einem Müllcontainer ausgegraben, in dem er die Lebensläufe von Menschen auf der Suche nach einem Arbeitsplatz fand. Die Vorstellung, Wildfremde könnten sich per Zufall an intimen Details aus dem eigenen Leben ergötzen, wird nur noch getoppt von der beängstigenden, aber offensichtlich durchaus realistischen Möglichkeit, ratzfatz auf dem Müll entsorgt zu werden.
Was vom Menschen übrig bleibt, wenn er sich im so genannten Assessment-Center um einen Posten bewirbt und in diesem Beurteilungs-Zentrum von der Führungselite auf Herz und Nieren geprüft wird, war Samstagabend zur Premiere im Landestheater Rudolstadt zu erleben.
Das hoch aktuelle Stück des katalanischen Autors Galceran in der Regie von Martin Pfaff findet auf der Bühne auf einem Podest statt, um das herum die Zuschauer wie in einer Arena sitzen. Die nüchterne Versuchsanordnung um einen Wasserspender (Ausstattung Brigit Kofmel) lässt keine Distanz zu, verlangt höchste Konzentration, legt aber auch Fallstricke aus. Der Zuschauer hat stets mindesten den Rücken eines der vier Schauspieler vor der Nase. Und die sind – in strenger Anzugsordnung — ausschließlich auf intime Mittel wie Mimik, Gestik und das gesprochene Wort angewiesen. Ein harter Job, denn Aktion findet kaum statt.
Martin Pfaff inszeniert „Die Grönholm-Methode“ als dichtes, zynisches, in Teilen skurriles Rätsel-Krimi-Labyrinth, in dem drei Männer und eine Frau ihr Innerstes nach Außen kehren, um die von der Konzern-Zentrale gestellten Aufgaben zu lösen. Die erste: Wer ist der Spitzel der Personalabteilung? Mercedes (Charlotte Ronas), die über Leichen geht und dennoch versucht, ihre Weiblichkeit zu wahren? Fernando (Markus Seidensticker), eis kalt, mit ungebrochenem Wille zur Macht? Enrique (Benjamin Griebel), unsicher, kompromissbereit, wehleidig? Oder Carlos (Simon Keel), der sich angeblich einer Geschlechtsumwandlung unter ziehen will, damit alle gegen sich aufbringt und scheinbar als erster die Segel streicht? Der Zuschauer folgt allen Fährten, steigt aber bis zum Schluss nicht wirklich hinter die entwürdigende Geschichte. Ein Albtraum — ebenfalls reich inszeniert, nuanciert und überzeugend gespielt.
"Die Grönholm-Methode": Gruppendynamik für Kollektive
Thüringische Landeszeitung, 22.03.2010
"Die Grönholm-Methode", ein Drama des spanischen Autors Jordi Galceran, feierte jetzt in Rudolstadt Premiere. Von Matthias Biskupek
Rudolstadt. Früher lebten Menschen in Horden und schlachteten Tiere oder einander ab. Jetzt gibt es Horden von Psychologen, die mit netten Methoden Menschen dazu bringen, Unnützes in sich zu schlachten: Mitgefühl, Gemeinsinn, Trauer, Träume. Die Psychologen arbeiten auf Anweisung ihrer Chefs, die wiederum Chefs zu Willen sind, die einem Höheren Wesen namens Erfolg gehorchen.
Dies könnte man «Die Grönholm-Methode» nennen. So das Stück des spanischen Autors Jordi Galceran, das in Rudolstadt auf die Bühne gebracht wurde - im Wortsinn. Dort steht ein Podest, rundherum sitzen hundert Zuschauer, alles sorgsam ausgeleuchtet.
Auf dem Podest vier Personen, die sich um einen Posten, nämlich den eines kaufmännischen Direktors einer großen Firma, bewerben. Wenn sie sprechen, sieht man Schaum vom Munde sprühen, die Scheinwerfer machen auch eine spritzig inszenierte Wasser-Katastrophe zum blitzenden Spektakel. Martin Pfaff (Regie) und Brigit Kofmel (Ausstattung) haben mit dieser Idee ihr Soll schon erfüllt, wenn der kaufmännische Ausdruck erlaubt ist.
Die Grönholm-Methode: Vier Bewerber sollen sich belauern, miteinander Kompetenz-Spiele treiben, einander ausstechen - zunächst noch nicht die Augen - und keinesfalls den Raum verlassen. Wer geht, kommt nie zum Erfolg. Zudem soll einer der vier ein Agent der Kaderleitung sein, die im chiquen Deutsch Personalmanagement heißt.
Alle Bewerber tragen teures Schuhwerk - die Perspektive der Zuschauer bringt dieses Detail zuerst ins Bild - und mehr oder weniger maßgeschneiderte Anzüge. Markus Seidensticker mimt einen angeblich ehrlichen Draufgänger und Durchsetzer, Charlotte Ronas spielt tapfer ihre Figur der vorgeblichen Powerfrau, Simon Keel ist der scheinbar unter einer transsexuellen Irrung Leidende, und Benjamin Griebel macht uns den anscheinend offenen Kumpel, der alles ausplappert. Ein Stück für Schauspieler: Nicht wichtig ist, wie man wirklich ist, sondern was man raushängen lässt. Der Anschein schafft das Bewusstsein; Scheine sind das Ziel.
Boxring, «Big Brother», DSDS - alle Assoziationen einer neuzeitlichen Gesellschaft sind erlaubt. Und wenn die Akteure oben mal durchhängen - der Rezensent glaubte, solches zu sehen - dann ist der Blick auf den Zuschauer, also den wahren Gegenüber, stets belebend: Die stimmt zu, der nickt ein, die mags nicht glauben, der kratzt sich am Barte. Theater als Gemeinschaft von zeitgleich Spielenden und Beobachtenden. - Ein Stück, vor allem für Kollektive, die sich natürlich Team, Mannschaft und dufte Truppe nennen sollten.